Jesus nahm die Dinge nie so schwer wie wir
Liebe Gemeinde,
An Himmelfahrt kehrt Jesus zurück zum Vater. Zuvor hat er seinen Jüngern genaue Instruktionen gegeben und ihnen seinen Geist als Beistand versprochen. Nun lag es an ihnen, daraus etwas zu machen. Ohne Jesus waren sie verunsichert. Trauten sie sich zu, das Antlitz der Erde zu erneuern? Völlig schutzlos waren sie der Welt ausgeliefert, wie Schafe unter Wölfen und schon zu Beginn mussten sie Verfolgung und mancherlei Anfeindungen ertragen. Jesus ahnt, dass es für sie nicht leicht wird und er ahnt, wie viele Fehler menschliche Schwachheit hervorbringen kann. Darum bittet er den Vater, dass er sie in der Welt bewahre.
Die ersten Jünger hielten sich korrekt an das, was sie von Jesus gelernt hatten. Doch je weiter ihre Botschaft in die römische Welt vordrang und je selbstbewusster sie wurden, umso mehr entfernten sie sich von ihrem ursprünglichen Auftrag. Während der Verfolgung rückten die Christen enger zusammen, doch dann hielt sie nichts mehr auf. Sie lernten die Macht kennen und erschwerten ihren Gläubigen den Zugang zu Gott. Die Menschenfreundlichkeit und Toleranz Jesu verschwanden langsam hinter einer dicken Wolke aus Weihrauch und Vorschriften, die den Pharisäern sicher gefallen hätten. Jesus, der die Liebe in die Welt getragen hat, wurde zum strafenden Richter, der nur durch das Einhalten strenger Regeln milde gestimmt werden konnte.
Hätte Jesus geahnt, wie verzerrt sein Bild durch die Jahrhunderte wiedergegeben würde, wäre es ihm schwer gefallen in den Himmel zurückzukehren. In seinem Namen wurden Kriege geführt, wurden Menschen gefoltert und sogar getötet, oder werden noch immer ausgeschlossen, weil sie nicht der bürgerlichen Norm entsprechen. So vieles ist falsch gelaufen. Hat man denn vergessen, dass er den Frieden und die Liebe zu den Menschen brachte, dass er Verständnis für ihre Schwächen zeigte und er den Sündern respektvoll begegnete? Er überwand alle Unterschiede. Er nahm Frauen und Männer in seine Jüngerschaft auf. Er nahm die Probleme und Fragen derer, die zu ihm kamen ernst. Er hat seine Jünger zu eigenständigem Denken befähigt, hat sie von den Bestimmungen und Traditionen der Pharisäer befreit. Deren Hartherzigkeit und verlogenes Treiben hat er aufs schärfste verurteilt. Und selbst erließ er kein einziges Gebot, das unser Leben einschränkt. Er wollte mündige Christen, die mit eigenen Händen seinen Leib empfangen, die durch freie Entscheidung seiner Einladung folgen und zu nichts verpflichtet werden. Denn nur in Freiheit kann der Glaube in uns wachsen und seine Früchte tragen.
War es also ein Fehler, dass Jesus zum Vater zurückkehrte und die ganze Verantwortung in die Hände seiner Jünger legte? Das mochten diese sich auch gefragt haben, denn nach seiner Auferstehung hätte alles wie immer bleiben können. Aber wem hätte das genützt? Jesus ist nicht nur für eine kleine Schar Auserwählter zurückgekommen, sondern für uns alle. Dafür musste er frei sein, frei von jeder physischen Bindung an das irdische. Indem er zum Vater zurückkehrte, eröffnete er uns allen eine himmlische Perspektive, gibt er uns Heimat und Hoffnung in Gott. Im Heiligen Geist hinterließ er seine Spuren, gab er uns einen Beistand, der uns immer wieder aufrüttelt und uns von Abwegen zurückholt. Nur ist es immer schwerer geworden, seinen Geist von all den Ungeistern, die auf uns einwirken, zu unterscheiden. Nicht nur den Jüngern hinterließ er eine große Verantwortung, sondern auch uns.
Wir sollen das Werk, das er begonnen hat weiterführen, damit die Menschen an uns erkennen, wie befreiend und voller Hoffnung seine Botschaft ist. Mit unseren Händen und Augen, mit unseren Worten und Gedanken sollen wir seine Barmherzigkeit, seine Toleranz in der Welt spürbar machen. Sollen wir ebenso selbstlos und unvoreingenommen wie er unserem Nächsten begegnen. Die Menschen sollen sich bei uns frei und verstanden fühlen. Ohne dass man ihnen den Ballast verstaubter Traditionen und Gesetze aufbürdet. Jesus nahm die Dinge nie so schwer wie wir. Für ihn war alles ganz einfach, unmittelbar und ohne Einschränkungen. Er fragte nicht nach den Hintergründen eines Lebens, welche Sünden jemand wohlmöglich begangen hat. Das kannte er ohnehin. Er fragte nur nach dem Glauben und darin waren alle Verfehlungen, die man jemandem nachsagen könnte, aufgehoben. Er war von einer solchen Leichtigkeit, die ihn in den Himmel brachte, aber auch uns, sofern wir bereit sind, mit seinen Augen zu sehen und mit seinen Händen zu wirken. Ein altes Gebet von einem unbekannten Verfasser bringt dies bildhaft in Erinnerung. Letztlich ist dies die Botschaft von Himmelfahrt und hilft uns auch in der gegenwärtigen Krise gemeinsam zu bestehen.
„Christus hat keine Hände, nur unsere Hände,
um seine Arbeit heute zu tun,
Er hat keine Füße, nur unsere Füße,
um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen,
um den Menschen von ihm zu erzählen.
Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest.
Wir sind Gottes letzte Botschaft,
in Taten und Worten geschrieben.“
Unbekannter Autor
Kaplan Gerhard Schuh