Am 12. September predigte Anke Jarzina in St. Peter und Paul im Rahme der Woche voller Frauenpower. Lesen Sie hier ihre Predigt:
Guten Morgen, liebe Gemeinde!
Heute darf ich mal ran bei der Predigt! :-) Vielleicht finden Sie das gar nicht so besonders. In dieser Pfarrei ist es ja nicht ungewöhnlich, dass sogenannte „Laien“, also pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, predigen dürfen. Warum auch nicht? Wir sind ausgebildete Theologinnen und Theologen, die vom Bischof beauftragt und ausgesendet worden sind. Kirchenrechtlich ist uns das Predigen in der Messe trotzdem nicht erlaubt. Dahinter steckt der Gedanke: Derjenige, der dem „Tisch des Brotes“, also der Eucharistie, vorsteht, soll auch dem „Tisch des Wortes“ vorstehen, also der Verkündigung. Und das kann eben nur ein Priester. In den letzten Jahren gab es immer wieder Kritik an dieser Vorschrift. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller zum Beispiel bezeichnet sie als „fragwürdig und nicht mehr überzeugend“ (www.kirche-und-leben.de/artikel/kirchenrechtler-predigtverbot-fuer-laien-ist-nicht-ueberzeugend)
Und das finde ich auch: Das ist so, als würde ich Freunde zum Essen einladen. Nehmen wir an, ich wäre die, die das Essen gekocht hat. Nach kirchenrechtlicher Logik wäre ich dann auch die, die mit unseren Freunden reden darf – mein Mann müsste den ganzen Abend schweigen, er hat ja nicht gekocht.
Das fühlt sich doch nicht richtig an, oder?
Genau deshalb stehe ich heute hier. Das Referat für Mädchen- und Frauenarbeit des Bistums Limburg beteiligt sich an der deutschlandweiten Initiative, die mit „Frauen verkünden das Wort“ überschrieben ist. Pastorale Mitarbeiterinnen wurden aufgerufen mitzumachen. Wir Frauen sind besonders vom Predigtverbot betroffen, weil wir von vornherein von der Weihe ausgeschlossen sind. Wir haben gar keine Möglichkeit, Wortgottesdienstteil und Eucharistiefeier zu verbinden. Das ist so, als würde ich zuerst meinem Mann die Fähigkeit zum Kochen absprechen (weil er ein Mann ist) – und damit dann begründen, dass er sich deshalb auch nicht mit unseren Freunden unterhalten darf.
Ich will heute aber nicht nur auf kirchenrechtliche Schräglagen hinweisen. Ich will das Wort verkünden, und zwar authentisch, überzeugend und ermutigend.
Im Vorhinein hab ich deshalb katholische Freundinnen von mir gefragt, über welchen Impuls sie sich von einer predigenden Frau freuen würden. Eine Rückmeldung hat mich besonders berührt und augewühlt, nämlich:
„Sag mal: Warum soll ich als Frau immer noch in dieser Kirche ausharren, wieso soll ich immer noch dabeibleiben?“
Ich weiß, dass sich viele Katholikinnen und Katholiken diese Frage stellen, ich manchmal auch. Viele finden einfach keine Antwort – die immensen Austrittszahlen auch in unserer Pfarrei sprechen eine knallharte Sprache.
Ob ich eine Antwort geben kann? Ich will es versuchen – und dazu die biblischen Texte von heute zur Hilfe nehmen.
„Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen“, haben wir in der ersten Lesung von Jesaja gehört. „Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel.“ (vgl. Jes 50,5-9a). Ganz ehrlich: Das ist nicht mein Weg. Unrecht gehört nicht erduldet, sondern angeklagt und bekämpft – auch in dieser Kirche!
Die zweite Lesung aus dem Jakobusbrief klingt vielversprechender: „So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat“, heißt es da (vgl. Jak 2,14-18). Das kann ich nachvollziehen: Wer Wasser predigt, darf nicht Wein trinken. Wenn mein Glaubenszeugnis Lippenbekenntnis bleibt, dann kann ich es mir auch sparen. Wenn ich wahrhaftig an das glaube, was Jesus gelehrt und gelebt hat, dann verhalte ich mich auch so wie er. Dann gehe ich absichtslos, offen und liebevoll mit den Menschen und mit dieser Welt um – und dazu braucht es laut Jakobusbrief keine Worte.
Aber wozu brauche ich dann die Kirche? Brauche ich die Kirche, um meinen Glauben leben zu können? Wenn ich zu dem Schluss komme: „Nö, brauch ich eigentlich nicht, geht auch so…“ - Warum soll ich dann bleiben? Warum ausharren - in dieser Kirche mit ihrem (auf mich viel zu oft scheinheilig wirkenden) Gebaren, mit dem grauenvollen Missbrauch und seiner Vertuschung und mit der teilweise strikten Weigerung, sich zu modernisieren?
Ich hoffe, im heutigen Evangelium finde ich eine Antwort darauf… (Mk 8,27-35) Das ist schon eine merkwürdige Geschichte. Es ist das einzige Mal überhaupt, dass Jesus jemanden als „Satan“ bezeichnet – und dann auch noch ausgerechnet Petrus, den Fels, auf dem Jesus ja seine Kirche aufbaut. Gerade hat Petrus noch bekannt: „Du bist der Christus!“, und dann ist Jesus so hart zu ihm. Warum? „Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“, sagt Jesus. Petrus will offenbar nicht, dass Jesus leiden und sterben muss.
Ich kann das gut nachvollziehen: Die, die ich lieb habe, will ich natürlich vor allem Leid beschützen. „Ich wünsch Dir Liebe ohne Leiden“, hat Udo Jürgens mal gesungen, vielleicht kennen Sie das Lied. „Liebe ohne Leiden“ gibt es aber nicht in Gottes Heilsplan. So jedenfalls versteh ich Jesus an dieser Stelle.
Eigentlich ist es logisch: Gott hat diese Welt gemacht. Alles, was ist, ist vergänglich, in ständigem Wandel, ständiger Veränderung begriffen, selbst die Kirche: „Ecclesia semper reformanda“ – „Die Kirche ist eine sich beständig verändernde“, soll schon der Heilige Augustinus gesagt haben. Das Prinzip der Veränderung ist wesentlich für die ganze Schöpfung. Wenn ich mich gegen Veränderung sperre, weil sie für mich schmerzlich ist, wende ich mich sozusagen gegen den Heilsplan Gottes.
Wenn Petrus etwas dagegen hat, dass Jesus so freimütig über seinen eigenen Tod spricht, dann nicht nur deshalb, weil er Jesus das Leiden ersparen will. Sondern auch, weil er selbst Angst hat vor dem schmerzlichen Verlust, den der Tod Jesu für ihn bedeuten würde - als wäre mit dem Tod alles vorbei! Aber: genau das ist ja nicht so, das ist die zentrale Botschaft Jesu im Evangelium! Es scheint, als habe das Petrus für einen Moment vergessen – aus Liebe.
Ich kann dieses Evangelium als Erzählung lesen, in der es um zwischenmenschliche Aspekte geht. Aber ich kann es auch als Parabel verstehen, als Gleichnis für die Situation unserer Kirche heute.
Unsere Kirche ist wie Petrus. Wie er bestärkt auch sie, oftmals ehrlich und aus tiefster Überzeugung heraus: „Jesus ist der Christus, der Messias, der Retter der Welt.“ Aber: Wie er will auch die katholische Kirche oft nicht wahrhaben, dass Veränderungen nun mal dazu gehören und wesentlicher Bestandteil des Plans sind, den Gott mit uns hat. Eine Kirche, die festhalten will, was ist und die Angst hat vor dem, was kommen könnte – ist das eine Kirche im Sinne Jesu? Was würde Jesus wohl zu so einer Kirche sagen? Vielleicht: „Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“
Aber: Es geht, glaube ich, auch nicht darum zu feiern, wenn das Alte vergeht und stirbt. Es geht auch nicht darum, dieses Sterben zu beschleunigen.
Wenn wir weiter beim Evangelium bleiben, dann geht es im Kern darum: „das Kreuz auf sich nehmen“: Akzeptieren, dass Gott alle Dinge vergänglich gemacht hat – und dass diese Vergänglichkeit oft weh tut. Zulassen, dass Veränderungen nicht „kurz und schmerzlos“ über die Bühne gehen: Ohne Sterben keine Auferstehung. Manchmal müssen Schmerzen sogar sein, damit überhaupt etwas Neues entstehen kann.
So richtig klar geworden ist mir das durch die Geburten unserer Kinder, die nicht „kurz und schmerzlos“ waren. Als ich in den Wehen lag, empfahl mir meine Hebamme „mit jeder Wehe zusammen zu arbeiten“. Sie meinte damit: Wehre dich nicht gegen diese Naturgewalt, auch wenn’s schweinewehtut. Sondern: Sieh jede Wehe als Unterstützung, als Mitarbeiterin, die dir dabei hilft, das neue Leben auf die Welt zu bringen.
„Liebe ohne Leiden“ gibt es nicht. Wenn ich wahrhaftig liebe, werde ich immer auch leiden – und – und das ist das Entscheidende - trotzdem ja dazu sagen. Das gilt auch für meine Liebe zur Kirche, wenn ich denn dieses Wort dafür verwenden will. Wer seine Kirche wahrhaftig liebt, der nimmt auch hier das Kreuz der Vergänglichkeit auf sich, trägt es - und willigt in die Geburtswehen ein, statt sie zu bekämpfen. Das ist genau das, was Petrus im Evangelium so schwerfällt. Ob die Geschichte anders ausgegangen wäre, wenn da eine Petra statt eines Petrus gestanden hätte?
Ich weiß es nicht. Aber ich bin überzeugt: Frauen haben einen eigenen, besonderen Blick auf das Evangelium, genau wie Männer. Sie verstehen es auf ihre Weise. Und wenn die katholische Kirche nicht erlaubt, dass Frauen genau wie die Männer ihre Sichtweise, ihr Verständnis vom Evangelium verkünden dürfen, dann beraubt sie sich nicht nur einer riesigen Ressource. Sie wehrt sich gegen die Geburtswehen der Veränderung, statt sie anzunehmen.
Da ist immer noch die Frage: Brauche ich so eine Kirche? Wieso soll ich weiter ausharren, dabei bleiben? Ich versuche eine abschließende Antwort:
Ich harre nicht aus, weil ich die Kirche brauche im Sinne von: Ohne Kirche kann ich nicht leben. Ich bin nicht abhängig, die katholische Kirche ist Gott sei Dank keine Sekte. Trotzdem bleibe ich, aus freien Stücken. Weil diese Kirche Stimmen wie meine und Frauen wie mich braucht. Sie braucht nicht nur meine Liebe zu ihr, mein Engagement für sie, sondern auch meinen Widerspruch, meine Anklage und mein Kämpfen gegen Unrecht und Missbrauch. Wie Petrus braucht auch die Kirche klare Ansagen, die sie wachrütteln und ihr zeigen: „Kirche! Du hast oft nicht mehr im Sinn, was Gott will, sondern vielmehr das, was Menschen wollen! Du beklagst: Die Menschen kommen nicht mehr, sie gehen alle weg! Aber du vergisst dabei: Nicht die Menschen sind für dich da, sondern du bist für die Menschen da! Also geh und tu auch, wovon Du
immer in so schönen Worten sprichst!“
Ja: Die Kirche braucht mich und all die anderen, die sich fragen: „Wieso bin ich eigentlich immer noch dabei?“, damit sie neue Antworten findet auf die Fragen der Menschen von heute. Solange wir fragen, muss sie nach überzeugenden Antworten suchen. Sie muss sich dabei auch der vermeintlichen Gefahr stellen, dass die Antworten vielleicht anders ausfallen könnten als vor 100 Jahren. Unser Fragen zwingt die Kirche, sich mehr mit ihrer Vergänglichkeit und ihrer Vorläufigkeit zu beschäftigen, mit ihrer Veränderung und ihrer Wandelbarkeit.
Dadurch – und das ist meine große Hoffnung - wird sie sich immer mehr ihres eigentlichen Auftrags bewusst und der gleichbleibenden, erlösenden Botschaft, die sie zu verkünden hat, nämlich: Wir alle – in unserer unendlichen Unterschiedlichkeit, Männer und Frauen, einfach alle - sind Gottes Kinder und sein Ebenbild. Weil er uns liebt, durchsteht er mit uns alle Veränderung, alle Wehen, alles Leiden, sogar den Tod – und führt uns so zu neuem Leben.
Ich erlebe Menschen, Frauen und Männer, in dieser Kirche, die sich von eben dieser umwerfenden Botschaft leidenschaftlich antreiben lassen. Oft sind das genau die, die ihre Finger in die Wunden zu legen wissen, Fragen stellen, keine Angst haben vor Veränderung. Weil es diese Menschen nach wie vor gibt und weil ich auch so ein Mensch sein will, bleibe ich.
Anke Jarzina
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https://bistumlimburg.de/beitrag/eine-woche-voller-frauenpower-1/