Jesus lässt uns nicht allein
Liebe Gemeinde,
Langsam kehrt das Leben in die Straßen unserer Städte zurück. Gewohnte Hektik macht sich breit in den Geschäften und auf öffentlichen Plätzen. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gefahr, der wir seit Wochen ausgesetzt sind, weiterhin besteht. Vorerst wird nichts so bleiben wie bisher, denn dieser Virus hat unser Leben verändert und vor allem unsere Gewohnheiten. Selbst Gottesdienste, die inzwischen wieder möglich sind, werden unter größten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. Wir müssen achtsam bleiben und dürfen die wiedergewonnene Freiheit nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Verschwörungstheorien, wie sie zeitweise aus Rom zu hören sind, helfen da nicht weiter. Im Gegenteil, mit solchen Äußerungen ewig gestriger Kardinäle, verliert die Kirche an Glaubwürdigkeit. Schon immer suchten Pandemien die Menschen heim, nur aus Erfahrung und mit der nötigen Vorsicht, haben sie diese Gefahr überwunden. Wer nur die Schuld bei anderen sucht, bleibt blind für die Wirklichkeit. Kirche muss sich ernsthaft den Fragen und Problemen der Menschen unserer Zeit stellen, damit sie nicht hinter ihrem eigentlichen Anspruch zurücksteht. Mehr Bescheidenheit stünde ihr besser an, wie bereits der Apostel Petrus mahnt.
Das Fundament, auf dem unser Glaube gründet ist Jesus. Sein Beispiel, seine Worte, zeigen uns die Richtung. In Liebe und Demut ging er auf die Menschen zu und begegnete jedem mit Toleranz. Bewusst entzog er sich der bürgerlichen und priesterlichen Enge, um frei zu sein, für die am Rande; die Armen, die Kranken, die Außenseiter und Verfolgten. Er scherte sich nicht um Dogmen und um bürgerliche Verhaltensregeln. Er verstieß gegen alle möglichen Gebote, wenn er mit Aussätzigen, mit Frauen oder Sündern sprach. Was die Leute redeten, störte ihn nicht. Ihm ging es nicht um die Satten und angeblich Anständigen, ihm war der Bedürftige wichtig, der jeden Halt im Leben verloren hat, der gezwungen war, außerhalb der guten Gesellschaft zu leben. Seine Gebote sind Liebe, Barmherzigkeit und Toleranz. Dafür braucht es keine Bestimmungen und Regeln, sie lassen sich nur mit dem Herzen verstehen. Wer so handelt, der rechtet nicht. Der sagt nicht, „ich habe dieses und jenes getan, dafür erwarte ich Anerkennung.“ Der sucht nichts, dem geht es nur darum, einen Menschen glücklich zu machen, ihm Hoffnung und Lebensmut zurückzugeben und das Strahlen in den Augen des anderen ist ihm Lohn genug. Dass es möglich ist, hat Jesus uns vorgelebt. Und uns traut er zu, ihm auf diesem Weg zu folgen. Zwar können wir keine Wunder wie er vollbringen, aber die Art und Weise, wie er auf Menschen zuging, ist uns ein Vorbild. In seiner Auferstehung hat er uns ein unverbrüchliches Leben beim Vater geschenkt. Trotzdem macht er sich Sorgen um seine Freunde, um uns. Wie geht es weiter, wenn er nicht mehr da ist? Die ersten Missionare folgten zwar seinem Beispiel, gingen zu den Armen, den Kranken, den Außenseitern und brachten ihnen die Frohe Botschaft, wurden, wie sie selbst zu Verfolgten. Aber dann stellte sich die Kirche auf die Seite der Reichen, der Mächtigen und hat einen Teil ihrer Unschuld verloren. Das ahnte Jesus. Darum versprach er uns einen Beistand, der uns auf der Spur hält, wenn wir den Weg verloren haben. Den Geist der Toleranz, der Liebe, der Barmherzigkeit. Manchmal fragt man sich, wo ist er in der Kirche zu finden? Sicher nicht in den starren Gesetzen und verstaubten Traditionen. Aber da, wo Menschen unbürokratisch helfen. Wo sie Gebote übertreten, um menschlich
zu handeln. Wo sie Toleranz üben, und einem Menschen seine Würde zurückgeben, die ihm von der Gesellschaft genommen wurde. Wo sie denen eine Heimat geben, die niemand sonst haben will. Wo sie keinen abschreiben, weil er alt, krank oder behindert ist, sondern Lebensfreude schenken. Wo sie die Bedürfnisse von Minderheiten ernst nehmen, und sie nicht mit Verweis auf das Kirchenrecht ablehnen. Überall da weht der Heilige Geist und trägt seine Früchte. Dort aber, wo man ihn am ehesten vermutet, hat er es nicht immer leicht, Gehör zu finden. Sein Wirken hält die Kirche lebendig, bleibt zu hoffen, dass er ihre dunkelsten und verstaubtesten Winkel erreicht, und jeden Starrsinn, jede Intoleranz und Hartherzigkeit hinwegfegt.
Jesus blickt immer liebend auf uns, darauf dürfen wir vertrauen, gerade in dieser unsicheren Zeit. Wir sind ihm wichtig, er lässt uns nicht allein mit unseren Ängsten und Fragen. Er bleibt uns nah, auch wenn wir ihn nicht immer spüren, denn er verspricht:
„Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. Nur noch kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet. An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch.“ Joh 14, 18 – 20
Kaplan Gerhard Schuh