Diakon Uwe Groß spricht in der Woche vom 14. bis 19. April 2025 ab ca. 6:30 Uhr in der Reihe „Zuspruch“ auf hr2. Hören Sie es sich live im Radio oder auf der Webseite des hr an oder lesen Sie den tagesaktuellen Text hier:
Aufräumen
„Bei mir sieht es sehr chaotisch aus“, lese ich von einem Mann, der sich in einer Zeitschrift als Messie outet. Er ist 61 und lebt allein in seiner, wie er selbst sagt: Messie Wohnung. Er sagt: „Ich habe zuviel Kram. Ich kaufe viel und ärgere mich dann, weil ich nicht weiß, wohin mit allem. Natur und Tiere sind zu meinen Freunden geworden, weil ich mit ihnen reden konnte, wenn ich einsam war.“ Der Mann ist einsam. Ich glaube, das ist eigentlich sein Hauptproblem. Er igelt sich in seiner Wohnung ein. Im Interview beschreibt er, wie er den Weg nach draußen sucht, und dass er sein Leben und seine Wohnung endlich aufräumen will. Mich hat diese Geschichte sehr bewegt, weil da einer mit seinem Leben aufräumen will.
Aufräumen. Meine Geschwister und ich haben in den letzten Monaten viel in unserem Elternhaus aufgeräumt. Meine Eltern sind in den letzten drei Jahren gestorben. Wir müssen das Haus verkaufen, weil niemand von uns an diesem Ort lebt. Beim Aufräumen auf dem Dachboden und den vielen vertrauten Zimmern im Haus, sind mir viele Dinge begegnet, die eine Geschichte erzählen. Begebenheiten aus meinem Leben: der Teller, den ich meinen Eltern aus Schottland mitgebracht habe, alte Studienunterlagen von mir, meine Schallplattensammlung. Mir ist klar: Ich kann nicht alles mitnehmen. Manche Dinge muss ich einfach wegwerfen auch wenn sie mit Erinnerungen verbunden sind. Das tut zwar weh, aber ich glaube, es ist richtig und wichtig.
Beim Aufräumen denke ich manchmal an ein Bild: Ich stelle mir einen Rucksack vor, mit dem ich auf eine Bergtour gehe. Wenn ich den Rucksack immer nur belade und nichts rausnehme, schaffe ich die Wanderung nicht. Der Rucksack wird mir zu schwer. So sehe ich es auch mit meinen Sachen. Wenn ich mir nur neue Sachen hole und von den alten nichts wegwerfe, habe ich irgendwann keinen Platz mehr. Früher ist es mir deutlich schwerer gefallen, Dinge, die mir lieb waren wegzuwerfen: Mittlerweile kann ich ohne schlechtes Gewissen auch Persönliches weggeben: Alte Briefe, Bücher, die ich mal geliebt habe, das erste Spielzeug, das wir unserem Sohn gekauft haben. All das werfe ich in die Tonne oder verkaufe es auf dem Flohmarkt. Ich erlebe es manchmal als Befreiung, alten Kram, den ich schon seit vielen Jahren nicht mehr angeschaut habe, zu entsorgen. Aufräumen: Ich will mich selbst von der Illusion befreien, dass man alles irgendwann noch mal brauchen kann. Ich habe die Erfahrung gemacht: Dinge, die ich fünf Jahre nicht mehr angeschaut habe, sind entbehrlich. Mich befreit das, wenn ich meinen Rucksack von Zeit zu Zeit entrümpele – wenn ich Dinge auch mal wegwerfe. Dann wird eben auch wieder Platz für neue schöne Dinge in meinem Leben.